Anlegerschutz: Stärkung der staatlichen Aufsicht

Das Vertrauen in die Bundesanstalt für Finanzdienstleistungsaufsicht (Bafin) schwindet mit jedem weiteren Finanzmarkt Skandal. Wie kann hier endlich effektiv gegengesteuert werden.

BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN fordern Betrug und Finanzkriminalität frühzeitig aufdecken und effektiv verhindern – Anmerkungen aus der Praxis von Dr. Thomas Schulte, Rechtsanwalt und Fachautor und mithilfe von Valentin Schulte, Volkswirt, stud. iur., Berlin.

Seit vielen Jahren klagen Verbraucher- und Anlegerschützer sowie die Fachpresse unisono, dass in Deutschland der Schutz der Bevölkerung vor betrügerischen Vermögensstraftaten nicht ausreichend gewährleistet ist.

Die Fraktion der GRÜNEN hat im Herbst 2020 die Situation grundsätzlich beleuchtet und macht aus Sicht des Autors wohl überlegte Vorschläge zur Stärkung der staatlichen Aufsicht und des Anlegerschutzes.

Tiefpunkt Finanzskandale

Die Grünen schreiben anlässlich des Falls Wirecard sei ein Tiefpunkt einer langen Liste an Finanzskandalen erreicht. Das Fass wurde zum Überlaufen gebracht. Die Börsenskandale um die Jahrtausendwende in der New Economy, die Pleite der Hypo Real Estate im Zuge der Finanzkrise bis hin zum milliardenschweren Cum-Ex-Steuerbetrug oder den Untergängen und Betrügereien des Schiffscontainer Vermieters P&R oder des Falls der PIM Gold GmbH R reihen sich Pleiten, Pech und Pannen aneinander.

Die Bundesanstalt für Finanzaufsicht (BaFin) ist ihrer Aufgabe „ein funktionsfähiges, stabiles und integres deutsches Finanzsystem zu gewährleisten“ nicht gerecht geworden. Das heißt sie war nicht in der Lage, Betrugsfälle und Skandale frühzeitig aufzudecken und effektiv durchgreifen, um Schaden abzuwenden und somit ihren Zweck zu erfüllen.

Herausforderungen und Auswirkungen: Die Frage nach fachlicher Kompetenz – Ressourcen – Organisation?

Als Ursache für das Aufsichts-Versagen werden immer wieder mangelnde fachliche Kompetenz (Marktferne), personelle Ressourcen, Organisation Schwächen bis hin zu fehlenden rechtlichen Befugnissen genannt. Prospekte für in Deutschland angebotene Wertpapiere oder Vermögensanlagen werden zwar von der BaFin geprüft. Das ist aber leider noch lange keine Garantie als Schutz vor Betrügereien. Geprüft wird nämlich nur, ob die gesetzlich geforderten Mindestangaben enthalten und verständlich abgefasst worden sind und ob der Prospekt in sich keine widersprüchlichen Aussagen aufweist. Die BaFin überprüft jedoch weder die Seriosität des Emittenten noch kontrolliert sie das Produkt. Hinzu kommt, dass vor allem zahlreiche Anbieter auf dem sogenannten “Grauen Kapitalmarkt”, die keine Tätigkeit Erlaubnis der BaFin benötigen – weswegen sich hier besonders viele BetrügerInnen tummeln – von der Prospektpflicht nicht erfasst sind. Dass der finanzielle Verbraucherschutz bei der BaFin ein Schattendasein fristet, spiegelt sich auch in der institutionellen Struktur wider. Seit 2015 ist der kollektive Verbraucherschutz zwar als Aufsichts-Ziel der BaFin fixiert. Zudem wurden ihr mit dem Kleinanlegerschutzgesetz eine Reihe an Aufsichtsinstrumenten zur Prävention und Beseitigung von Missständen an die Hand gegeben. So kann sie Anordnungen treffen, um Verbraucherschutz relevante Missstände zu verhindern oder zu beseitigen, wenn eine generelle Klärung im Interesse des Verbraucherschutzes geboten erscheint. In schwerwiegenden Fällen kann sie sogar den Vertrieb von Produkten beziehungsweise bestimmte Vertriebspraktiken einschränken oder gänzlich untersagen – nämlich dann, wenn der Anlegerschutz, die Funktionsfähigkeit oder die Integrität der Finanzmärkte gefährdet sind. Von diesen Möglichkeiten macht die BaFin bisher jedoch nur selten Gebrauch.

Corporate Germany: Selbstkontrolle – Freiwilligkeit?

Das Modell Corporate Germany, das vor allem auf Selbstkontrolle und freiwillige Mitwirkung setzt und den Einsatz von Zwangsmitteln möglichst zu vermeiden sucht, hat ausgedient. Auch aus in Deutschland gelisteten Unternehmen heraus werden Straftaten oder Betrügereien verübt. Deshalb muss die Aufsicht intern so aufgestellt sein und die nötige Bereitschaft an den Tag legen, Fälle von Finanzmarkt Betrug und andere illegale Aktivitäten frühzeitig zu erkennen und zur präventiven und repressiven Schadensabwehr schnell und aktiv einzugreifen. Das muss auch mit einer internen Verschiebung von Prioritäten und personellen Ressourcen einhergehen: Mit der Schaffung des Single Supervisory Mechanism (SSM) – des einheitlichen europäischen Bankenaufsichtsmechanismus – wurden bedeutende Teile der Bankenaufsicht auf die europäische Ebene übertragen. Daraus freiwerdende Kapazitäten sollten dazu genutzt werden, die Marktaufsicht zur Wahrung der Integrität des Finanzmarkts und zum Schutz von Verbraucherinnen und Verbrauchern zu stärken. Die Grünen fordern einen Paradigmenwechsel hin von der betulichen Aufsicht hin zu einer modernen Behörde.

Die Erkenntnisse rund um den Wirecard-Skandal und das Aufsichtsversagen rund um den Milliarden Skandal in Kombination mit schwunghaftem Handel von Wertpapieren rund um die Mitarbeiter der Finanzaufsicht, sind regelrecht atemberaubend.

V.i.S.d.P.:

Valentin Markus Schulte
Volkswirt, stud. iur

 

Übersetzung auf Englisch:

Investor protection: Strengthening state supervision

BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN call for early detection and effective prevention of fraud and financial crime – comments from the field by Dr. Thomas Schulte, lawyer and specialist author and with the help of Valentin Schulte, economist, stud. iur., Berlin.

For many years, consumer and investor protectionists as well as the specialized press have been complaining in unison that in Germany the protection of the population against fraudulent property offences is not sufficiently guaranteed.

In the fall of 2020, the Green Party’s parliamentary group took a fundamental look at the situation and, in the author’s view, makes well-considered proposals for strengthening state supervision and investor protection.

Low point financial scandals

The Greens write on the occasion of the Wirecard case a low point of a long list of financial scandals has been reached. The barrel has been brought to overflowing. The stock exchange scandals around the turn of the millennium in the New Economy, the bankruptcy of Hypo Real Estate in the course of the financial crisis up to the Cum-Ex tax fraud worth billions or the sinking and frauds of the shipping container lessor P&R or the case of the PIM Gold GmbH R line up bankruptcies, bad luck and breakdowns.

The Federal Financial Supervisory Authority (BaFin) has failed to fulfill its task of „ensuring a functioning, stable and integrated German financial system“. That is, it has been unable to uncover fraud and scandals early and effectively crack down to avert harm, thus fulfilling its purpose.

Challenges and implications: The question of professional competence – resources – organization?

Lack of professional competence (remoteness from the market), human resources, organizational weaknesses and even a lack of legal authority are repeatedly cited as causes of supervisory failure. Prospectuses for securities or investments offered in Germany are indeed reviewed by BaFin. Unfortunately, however, this is no guarantee of protection against fraud. The BaFin only checks whether the minimum information required by law is included, whether it is comprehensible, and whether the prospectus contains any contradictory statements. However, BaFin neither checks the seriousness of the issuer nor does it inspect the product. In addition, numerous providers on the so-called „gray capital market“, which do not require permission from BaFin – which is why so many fraudsters are active here – are not covered by the prospectus requirement. The fact that financial consumer protection ekes out a shadowy existence at BaFin is also reflected in its institutional structure. Since 2015, collective consumer protection has been fixed as a supervisory goal of BaFin. In addition, the German Retail Investor Protection Act (Kleinanlegerschutzgesetz) has provided it with a range of supervisory instruments for preventing and eliminating abuses. For example, it can issue orders to prevent or eliminate abuses relevant to consumer protection if a general clarification appears necessary in the interest of consumer protection. In serious cases, it can even restrict or completely prohibit the sale of products or certain sales practices – namely, if investor protection, the functioning or integrity of the financial markets are at risk. However, BaFin has so far rarely made use of these options.

Corporate Germany: Self-Regulation – Voluntary?

The Corporate Germany model, which relies primarily on self-regulation and voluntary participation and seeks to avoid the use of coercive measures wherever possible, has had its day. Crimes or fraud are also committed from within companies listed in Germany. That is why the supervisory authority must be internally positioned and demonstrate the necessary willingness to identify cases of financial market fraud and other illegal activities at an early stage and to intervene quickly and actively for preventive and repressive damage control. This must also be accompanied by an internal shift in priorities and human resources: With the creation of the Single Supervisory Mechanism (SSM) – the single European banking supervisory mechanism – significant parts of banking supervision have been transferred to the European level. The capacities freed up as a result should be used to strengthen market supervision in order to safeguard the integrity of the financial market and protect consumers. The Greens are calling for a paradigm shift from sedate supervision to a modern authority.

The findings around the Wirecard scandal and the supervisory failures around the billion dollar scandal combined with buoyant trading of securities around the financial supervision staff, are downright breathtaking.

V.i.S.d.P.:

Valentin Markus Schulte

Economist, stud. iur

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